Häufig gestellte Fragen zum Poetry Slam (FAQ)

| Quelle: Bas Böttcher — Die Poetry-Slam-Expedition (Schroedel Verlag)

Warum heißt der Poetry-Slam ›Poetry-Slam‹?
 
Der erste Poetry-Slam wurde von Marc Kelly Smith in der Chicagoer Get Me High Lounge veranstaltet. Smith prägte den Begriff ›Poetry Slam‹, um das Ereignis von gewöhnlichen Lesungen (poetry readings) abzugrenzen.
Das englische Wort »slam« kann mit »schleudern« oder »zuschlagen« übersetzt werden. Beim Poetry-Slam werden Texte per Mikrofon quasi ins Publikum geschleudert. Im Sport bezeichnet der Ausdruck slam dunk das kraftvolle Schleudern eines Basketballs in den Korb. Der Titel Grand Slam steht für das Gewinnen der wichtigsten großen Turniere einer Sportart. Analog dazu sind Poetry-Slams Turniere für Sprachkunst.
Poetry-Slam und Sport haben vieles gemeinsam: den Wettkampfcharakter, die Disziplinen ›Einzel‹, ›Team‹ und ›U20‹, die Jurynotenvergabe, das Zusammenspiel von Geist und Körper.

Darf man beim Poetry-Slam nur ›Poetry‹ – also Poesie – vortragen?

Prinzipiell ist ein Poetry-Slam offen für alle Textformen. Beim Slam hört man Geschichten, Poesie, Rap, Liebesgedichte, Agitation, ernsthafte Lyrik und Comedy. Letztere ist in der Szene allerdings umstritten, weil das Publikum banale Gags oft mit mehr Punkten bedenkt als tiefenwirksame Lyrik. Die ursprüngliche Idee des Poetry-Slams ist es allerdings, eine Plattform für Performance-Poesie zu bieten, womit auch poetische Prosatexte gemeint sind. Viele Slam-Master und auch Marc Kelly Smith – der Erfinder des Poetry-Slams – setzen sich in ihren Büchern, CDs, DVDs und Veranstaltungen dafür ein, dass die Performance-Poesie beim Slam weiterhin im Zentrum steht.

Sind Slam-Texte improvisiert?

Live auf der Bühne improvisierte Texte sind beim Poetry-Slam willkommen, stellen aber eher die Ausnahme dar. Gelegentlich betreten Freestyler (Stegreifdichter) die Slam-Bühne und bereichern den Abend durch ihre Kunst. Die Chance des Freestyles liegt in der unmittelbaren Einbeziehung vorangegangener Beiträge, aktueller Geschehnisse und des Publikums. Professionelle Freestyler wie Telhaim (Hanau), Tobias Borke (Stuttgart) und der Slammer Tobias Kunze (Hannover) verstehen es, das Publikum mit Texten im »Hier und Jetzt« zu faszinieren. Der Nachteil bei Freestyle-Performances kann darin liegen, dass ungeübte Freestyler die Aufmerksamkeit ihres Publikums möglicherweise mit unüberlegten Reimen überstrapazieren.

Woher kommt die Inspiration?

Die meisten Themen für Slam-Texte sind dem Alltag entnommen. Sie sind aus dem Leben gegriffen und nehmen dann eine unerwartete Wendung. Weil die Ideen selten auf Kommando, meistens aber unerwartet kommen, lohnt es sich, immer ein Notizbuch, Diktiergerät oder eine Kamera dabeizuhaben. Durch Notizen, Fotos oder Aufzeichnungen kann man sich einen Fundus an Textideen anlegen. Sie bilden die Grundlage, auf der ein Text entstehen kann. »Die erste Idee zu einem Text bekommt man immer geschenkt. Den Text selbst muss man sich dann erarbeiten«, so der Slam-Poet Dalibor Markovic.

Was macht einen guten Slam-Text aus?

Jeder Zuhörer und jede Zuhörerin hat natürlich eigene subjektive Qualitätskriterien.Dennoch lassen sich allgemeingültige Kriterien eines guten Slam-Textes benennen: Die drei Komponenten Idee, Text und Show sollten sich zu einem Gesamtgefüge verbinden, sind also unmittelbar miteinander verwoben. Slam-Poetinnen und -Poeten überraschen oft dadurch, dass sie alltägliche Themen aus einer neuen – ungewöhnlichen – Perspektive betrachten. Passend zum Thema und zur persönlichen Vorliebe sollte eine Textform gefunden werden, die konsequent verfolgt oder aber bewusst aufgebrochen werden kann. Schon beim Verfassen des Textes sollte man auf Dynamik,Rhythmik und Eingängigkeit achten. Diese Qualitäten kommen später beim Vortrag zur Geltung.

Sollte ich meine Texte beim Poetry-Slam auswendig vortragen?

Gelungene Poetry-Slams sind wie Konzerte, bloß ohne Musik. Selten sieht man Sänger von Pop-Bands mit einem Textblatt auf der Bühne. Ähnlich ist es auch beim Slam. Für eine bestmögliche Performance ist es hilfreich, seine Texte zu ›verinnerlichen‹. Das hat wenig mit erzwungenem Auswendiglernen von klassischer Lyrik zu tun. Eher ist es wie bei Lieblingsbands, deren Texte man ganz selbstverständlich mitsingen kann. Eigene Texte prägen sich leichter im Kopf ein als fremde Texte. Reim, Rhythmus und Wiederholung können dabei gute Memorierungshilfen sein. Die Wirkung des gekonnten freien Vortrags auf das Publikum ist verblüffend. Anstatt auf das Blatt Papier zu blicken, kann der Autor bzw. die Autorin das Publikum anschauen. So fühlen sich die Zuschauerinnen und Zuschauer direkt angesprochen und der Funke springt über.

Nach welchen Kriterien werden beim Poetry-Slam die Punkte vergeben?

Beim Poetry-Slam spielt das Publikum eine wichtige Rolle. Durch Applausabstimmung oder vertreten durch eine anfangs gewählte Jury verteilt es Punkte von 1 bis 10. Ein Anspruch auf objektive Qualitätsbeurteilung besteht dabei nicht. Der US-amerikanische Slam-Poet Taylor Mali hat folgende Beobachtung gemacht: »Jurys vergeben oft mehr Punkte für eine brillante Performance bei mittelmäßigem Text als andersherum.«

Wie lange schreibt man an einem Slam-Text?

Hier eine etwas ungewöhnliche Rechnung: Jede Slammerin und jeder Slammer sollte bedenken, dass die Aufmerksamkeit des Publikums ein wertvolles Gut ist. Das Publikum bezahlt Eintritt, opfert seine Zeit und kann deshalb auch berechtigterweise Qualität erwarten. Wenn dir 300 Zuschauer fünf Minuten lang zuhören, dann ergibt das zusammengerechnet25 Stunden kostbarer Lebenszeit.Wenn du also 25 Stunden in die Arbeit an dem Text und an der Performance investierst, wäre das ein verhältnismäßig angemessener Aufwand. Das mag nach viel Zeit klingen für einen 5-minütigen Auftritt, doch der Aufwand lohnt sich. Schließlich können gute Texte – ähnlich wie Hit-Singles in Rotation– bei verschiedenen Poetry-Slams auf die Bühne gebracht werden.

Kann ich beim Slam auch Texte von Goethe oder meiner besten Freundin vortragen?

Zum Glück nicht! Ganz allgemein sollten beim Poetry-Slam nur selbstverfasste Werke dargeboten werden. Slam ist kein Karaoke, wo es darum geht,eine Performance so gut wie möglich nachzuahmen. Nur eigene Gedanken in eigenen Worten können ein Höchstmaß an Glaubwürdigkeit beim Publikum erreichen. Wichtig sind Authentizität und der direkte Ideenaustausch zwischen Poeten bzw. Poetinnen und Publikum. Die Slammerinnen und Slammer kommen schließlich selbst aus dem Publikum – man feiert die Party gemeinsam. Slammer sind Originale, die ihre eigenen Welten erschaffen und – bei Bedarf– wieder zerstören.

Wofür steht »Respect the poets!«?

Der Ausruf »Respect the poets!« wird im Nuyorican Poets Cafe verwendet, um das Publikum daran zu erinnern, dass jede Poetin und jeder Poet, der die Bühne betritt, Respekt und Aufmerksamkeit verdient hat. Schließlich gehört eine Menge Mut dazu, sich vor 250 Zuschauern auf die Bühne zu wagen und ein Gedicht vorzutragen. Um ein Mindestmaß an Aufmerksamkeit für jeden Slammer und jede Slammerin zu garantieren, gibt es zum Beispiel im NewYorker Bowery Poetry Club die ›shut up‹ rule, nach der Zwischenrufe erst von der zweiten Minute des Auftrittes an erlaubt sind. Auch die Slammerinnen und Slammer sollten vom Publikum Respekt für sich einfordern. Wenn es im Publikum zu laut ist oder jeder mit seinem Handy beschäftigt ist, sollten sie auf der Bühne in Ruhe warten, bis das Publikum aufmerksam ist. Mit einer dynamischen, spannenden und überraschenden Performance verschafft man sich den Respekt Publikums meist ganz automatisch.

Kann man vom Poetry-Slam leben?

Ähnlich wie beim Sport gibt es beim Poetry-Slam regionale, nationale und internationale Austragungen. Regionale Slams bieten eine gute Möglichkeit, neue Texte zu erproben, Freunde zu treffen und Bühnenerfahrung zu sammeln. Der ›Lohn‹ für die Teilnahme sind oft Getränkebons für den Abend oder, wenn man eingeladen wurde, Fahrtkosten, ein Bett und eine warme Mahlzeit. Viel wichtiger als Geld ist in dieser Szene der Reichtum an Ideen und Freundschaften. Die überregionalen Slams und Festivals zahlen aber erfahrungsgemäß auch Gagen. Bei professionellen Slammern sind die Auftrittshonorare vergleichbar mit denen von DJs oder Musikern.